Was tun bei … Verhaltensstörungen?

1. Haltungsbedingungen überprüfen

Verhaltensstörungen sind die Folgen von psychischen und manchmal auch physischen Defiziten, die aufgrund von fehlerhafter Haltung und/oder falschem Training entstanden sind. Daher können sie nur dauerhaft behoben werden, wenn die Haltungsbedingungen inklusive Fütterung naturnaher gestaltet werden und die Pferde mehr Möglichkeiten haben, ihre Frustration im Freilauf mit Artgenossen abzubauen. Viel Schrittbewegung, Sozialkontakte ohne Stress und das richtige Maß an Ruhe und Abwechslung im Stall sind wichtige Faktoren, die langfristig nicht kompensiert werden können. Dabei ist zu beachten, dass die Verträglichkeit mit Artgenossen abnehmen kann, weil sich Rangfolgen ändern oder ein wenig arbeitender „Jungspund“ den Rest der Herde tyrannisiert. In einer Gruppenhaltung hat ein ausgelastetes (älteres) Pferd wenig Interesse, sich andauernd gegen Jüngere zu behaupten. Langeweile und beengte Verhältnisse führen dazu, dass vor allem wenig arbeitende Pferde die übrigen beständig drangsalieren.

2. Nach verdeckten Defiziten suchen

Verhaltensstörungen (und psychische Auffälligkeiten) sind häufig die ersten Hinweise auf eine Erkrankung, die unbedingt behandelt werden muss. Unruhe oder Trägheit kann hormonelle Ursachen haben, Bocken und Durchgehen wird durch Nieren- oder Rückenschmerzen begünstigt, Steigen ist häufig eine Abwehrreaktion auf Schmerz im Maul. Deshalb sollte man vor jeder Korrektur nach verdeckten Defiziten suchen, die sich möglicherweise (noch) nicht im Röntgenbild oder Blut nachweisen lassen. Gleichzeitig müssen die Ausrüstung (Sattel, Zaumzeug) und die Hufbearbeitung überprüft werden. Ein Pferd mit zu engen Hufeisen oder zu niedrigen Trachten wird nicht mehr engagiert vorwärts gehen. Ein unpassender Sattel kann sowohl Anspannung als auch Trägheit und Arbeitsverweigerung verursachen. Die Trageerschöpfung des Rückens (Verlust der Tragkraft) und muskuläre Fehlhaltungen von Hals und Kopf sind eigentlich auf falsches Reittraining zurückzuführen. Wird beständig ohne korrekte Dehnungshaltung und mit zu enger Beizäumung geritten (und mit Zwangsmitteln durchgesetzt), kommen zu den permanenten Schmerzen früher oder später Schäden an Gelenken und Wirbelsäule. In diesem Fall ist die Umstellung der Reitmethodik allein nicht ausreichend, denn meistens liegen Muskelverkürzungen, Bandscheiben- und Knorpelschäden vor.

3. Hormonstörungen ausschließen

Bei vielen Verhaltensauffälligkeiten sind Hormonstörungen beteiligt und gelegentlich Drüsenerkrankungen als Auslöser zu finden. Zu den häufigsten gehören Schilddrüsenüber- und -unterfunktion und das Equine Metabolische Syndrom, und gehen mit fehlerhafter Hormonausschüttung einer oder mehrerer Drüsen einher. Bei Schilddrüsenstörungen wird der Grundumsatz des Organismus an die bestehenden Verhältnisse angepasst, indem er bei Dauerstress angehoben und bei Langzeitunterforderung abgesenkt wird. Bei einer Schilddrüsenüberfunktion wirkt das Pferd hektisch und rastlos, manchmal im Wechsel mit depressiven Phasen, und steht unter einer unerklärlichen Dauerspannung. Bei den anderen Hormonstörungen ist es in sich gekehrt, lethargisch und desinteressiert, obwohl eigentlich kein Anlass besteht. Man muss allerdings davon ausgehen, dass es viele Frühstadien gibt, bevor eine Drüse beständig zu viele Hormone ausschüttet. Im Vorfeld treten immer Schwankungen auf, entweder zwischen zwei Extremen, wie Unruhe und Lethargie, oder zwischen Normal- und Krankheitszustand. Deshalb bleiben Blutuntersuchungen häufig unauffällig, obwohl viele Anzeichen für eine Drüsenerkrankung sprechen.

4. Ausbildung nachbessern

Häufig entstehen psychische Störungen oder Verhaltensprobleme durch Ausbildungsmängel, die nun sukzessive beseitigt werden müssen. Besonders schwierig wird die Korrektur von Problempferden, die den Menschen durch ihr Verhalten in Gefahr bringen. Ein Durchgänger reagiert aufgrund von Schmerzen, Angst oder geringer Arbeitsauslastung, aber in jedem Fall auf Umgang und Ausbildung des Menschen. Steigen, Bocken u. ä. sind ebenfalls Abwehrmechanismen von Schmerz und grober Einwirkung, die in Verbindung mit falschen Trainingsansätzen zu den häufigsten Strategien solcher Pferde gehören. Jeder Widerstand kann sich zu einem reiterlichen Problem entwickeln, wenn die sofortige Reaktion unangemessen ist und die Ursachen nicht geklärt werden. Vor allem die Basis aus Vertrauen und Respekt, die jeder effektiven Arbeit mit dem Pferd zugrunde liegt, wird kaum aufgebaut bzw. nachhaltig zerstört. Trotzdem lassen sich auch Problempferde korrigieren, allerdings nicht mit „Hau-Ruck-Methoden“, sondern mit einem kontinuierlichen Trainingsprogramm.

5. Korrekturmaßnahmen

Die Korrektur der Verhaltensprobleme beginnt mit dem Verzicht auf sämtliche Zwangsmaßnahmen und Druckmittel, wie Hilfszügel, scharfe Zäumungen usw., und einer ausgiebigen Grundlagenarbeit an der Hand. Bei den meisten Problempferden muss man mehr oder weniger alle Lernschritte am Boden und unter dem Sattel rekapitulieren, damit die problematischen Abwehrstrategien irgendwann durch bessere Verhaltensweisen ersetzt werden. Dafür sind einerseits zahlreiche Wiederholungen und Bestätigungen für das richtige Verhalten notwendig, andererseits müssen sämtliche Verursacher definitiv ausgeschaltet sein. Wird das Pferd bald wieder mit denselben Auslösern, wie Bewegungsmangel, Unter- oder Überforderung, harte Einwirkung etc., konfrontiert, fällt es immer wieder in die falschen Verhaltensmuster zurück.

6. Unruhe, extreme Anspannung

Ein permanent hoher Stresspegel entsteht durch andauernde Angstzustände oder Fehler in Training und Ausbildung und bewirkt einen höheren Muskeltonus und eine Neigung zu Immunschwächen, Magen- und Verdauungsproblemen. Durch die muskuläre Dauerspannung sind Bänder und Sehnen schnell überlastet und die häufigen Fluchtreaktionen unter Adrenalin ziehen vermehrt Verletzungen nach sich. Allein durch das Fördern von Losgelassenheit und Entspannung während des Trainings kann man viel zur Gesunderhaltung des Pferdes beitragen. Regelmäßige Gelassenheitsübungen, wie das Überqueren einer Plastikplane, der Kontakt mit Klappersack, Regenschirm etc. müssen allerdings vorsichtig gesteigert werden, damit das Pferd lernt, mit den Angstauslösern positiv umzugehen. In erster Linie muss jedoch das Bewegungs- und Laufbedürfnis ausreichend befriedigt werden: durch eine weitläufige Offenstallhaltung (ohne Sozialstress) und tägliches Reittraining mit entsprechender Muskelermüdung. Eine permanente Heufütterung nimmt den Futterstress und beruhigt das vegetative Nervensystem. Therapeutisch sollte man eine Schilddrüsenüberfunktion ausschließen, aber nur übergangsweise mit einer Kräuterkur aus Passionsblume, Melisse und Lavendel behandeln. Umgang und Training spielen oft die größte Rolle, denn solche Pferde sind in der Regel überfordert oder ungerecht behandelt worden. Das Erarbeiten von Takt und Losgelassenheit steht daher im Vordergrund, auch wenn der Ausbildungsstand bereits höher ist. Danach werden die Anforderungen nur langsam gesteigert, um jede Überforderung zu vermeiden und dem Pferd durch viele Bestätigungen mehr Sicherheit zu geben.

7. Trägheit, Zurückgezogenheit, Faulheit

Aber auch Verschlossenheit und Lethargie können auf einen zu hohen Stresspegel deuten, quasi als Folge von mangelndem Vertrauen. Ein Pferd, das sich aufgrund von Angst oder Missverständnissen widersetzt, sollte nicht gezwungen oder sogar geschlagen werden. Die Angst wird zunehmend größer, das Vertrauen noch mehr zerstört und die Lernergebnisse um ein Vielfaches schlechter, denn unter Stress sind alle Denkprozesse beeinträchtigt. Ist das Pferd beim Reiten eher lustlos und schlapp, müssen zunächst körperliche Ursachen und Schmerzen ausgeschlossen werden. Sensible Pferde haben oft Magenschmerzen, die sich nicht in deutlichen Kolikanzeichen äußern. Andere verdeckte Körperdefizite erstrecken sich auf den Bewegungsapparat und lösen keine oder kaum sichtbare Lahmheiten aus. Am häufigsten sind Rücken- und Hufprobleme, die zu einem klammen Gang und/oder Taktstörungen führen. Für das Pferd sind sie aber so einschränkend, dass seine Motivation dauerhaft auf der Strecke bleibt. Ein gesundes, gut gehaltenes und gefüttertes Pferd ist grundsätzlich engagiert, kooperativ und leistungsbereit. Muss es trotz guter Haltung und entsprechendem Training ständig dazu angehalten werden, einen Fuß vor den anderen zu setzen, stimmt etwas nicht. Daher sollte die aktuelle Trainingsmethodik geprüft werden, die konsequent und abwechslungsreich sein sollte. In der Regel wird die Motivation durch viel Lob und Bestätigung, durch ausreichend Geduld und Einfühlungsvermögen und durch einen freundlichen „Umgangston“ erhalten und gefördert.

8. Durchgehen, starker Fluchtreflex

Durchgehen und ein starker Fluchtreflex müssen unbedingt korrigiert werden, denn das Pferd bringt sich selbst und andere in Gefahr. Zunächst sollte man ein ausgiebiges Gelassenheitstraining durchführen, um es gegen Umwelteinflüsse aller Art zu desensibilisieren. Im Prinzip führt die regelmäßige Konfrontation mit angstauslösenden Gegenständen und Situationen zum Unterdrücken des Fluchtreflexes und später zum gelassenen Vorbeigehen an Plastikplanen, Motorfahrzeugen, Knall- und Sprühgeräusche etc. Allerdings müssen besonders angstauslösende Situationen häufig und immer wieder geübt werden, bis die Vertrauensbasis derart gefestigt ist, dass das Pferd seinen Fluchtreflex auch bei völlig unbekannten Reizen unterdrücken kann. Wichtig ist immer, dass nicht das Angst-Haben bestätigt wird, sondern das Überwinden der Angst. Wenn das Pferd also mit angespannten Muskeln und hoher Kopfhaltung alle Viere in den Boden stemmt, sollte man in diesem Moment nicht mit Futter locken, streicheln oder füttern. Erst wenn es den Kopf senkt und einen Schritt vorwärts macht, wird es belohnt. Auf ein Pferd mit Angst darf in keinem Fall Zwang ausgeübt werden, denn dadurch wird das Vertrauen zerstört.

9. Bocken

Bocken gehört zu den Unarten eines Pferdes, die für den Reiter ziemlich gefährlich sind. Keiner hat Lust auf regelmäßiges Rodeo oder auch nur „Freudenbuckler“ im Gelände, durch die auch sattelfeste Reiter stürzen können. Letztlich handelt es sich um Anzeichen von Frustration, aufgrund ungünstiger Haltungsbedingungen oder Trainingsanforderungen. Denn sowohl der verbreitete Bewegungsmangel, vor allem im Winter, als auch unzureichendes und eintöniges Training äußern sich je nach Charakter des Vierbeiners in Buckeln, Gegen-die-Hand-Gehen und anderen „Ungezogenheiten“. Anstatt das Pferd mit identischen Geländerunden (hauptsächlich im Schritt) zu langweilen, sollte ein abwechslungsreicher Trainingsplan erstellt werden. Damit die Arbeitsauslastung nicht zu kurz kommt, bietet sich Dressurarbeit mit wechselnden Schwerpunkten an. Die Geländeritte sollten in Umgebung und Länge variieren und Herausforderungen, wie Steilhänge, Wasserdurchgänge etc. bieten.

10. Steigen

Steigen gehört zu den Abwehrmechanismen von Schmerz und grober Einwirkung und wird dann zur wirkungsvollen Strategie, sich gegen den Menschen zu widersetzen. Beim Führen und Verladen, aber besonders unter dem Reiter bringt der Vierbeiner dadurch sich selbst und andere Beteiligte in Gefahr. Die Korrektur beginnt mit dem Verzicht auf sämtliche Zwangsmaßnahmen und Druckmittel, und einer ausgiebigen Grundlagenarbeit an der Hand. Zuerst müssen Respekt und Vertrauen wieder aufgebaut und in ein Gleichgewicht gebracht werden. Im Prinzip muss jedes Pferd lernen, auf (minimalen) Druck nachzugeben: der Druck der Hand verschiebt die Vor- oder Hinterhand, der Schenkeldruck bringt die Bauchmuskeln zur Kontraktion und damit das jeweilige Hinterbein zum Vorschwingen, der Druck auf Nasenbein und Unterkiefer soll durch Nachgeben im Genick und ggf. Verlangsamen beantwortet werden. Bei Angstreaktionen dürfen Pferde niemals mit Gewalt gezwungen werden, sonst widersetzen sich eigenständige Vertreter dermaßen vehement, dass sie in kurzer Zeit zum Problempferd werden.